Der Guggolz-Verlag veröffentlicht ausschließlich Neu- und Erstübersetzungen älterer Werke. Monique traf den Verleger Sebastian Guggolz auf der Leipziger Buchmesse
Lieber Sebastian Guggolz, das Besondere an deinem Verlag ist, dass du nicht nach neuen AutorInnen-Talenten suchst, (Sebastian Guggolz: „Wir schließen die sogar aus!“) sondern vielmehr ältere Texte aufspürst und (wieder)entdeckst, die bereits in anderen Sprachen veröffentlicht oder übersetzt wurden, jedoch eher in Vergessenheit geraten sind.
Auf welchen Wegen finden Text und Verleger bei Guggolz zusammen?
Man kann sagen, dass ungefähr ¾ der Texte, so ist es zumindest bisher, Neuübersetzungen sind. Das sind Texte, die ich antiquarisch gelesen habe oder die eben verfügbar sind, die man lesen kann, die wir so gut finden, dass ich mich dann entscheide eine Neuübersetzung in Auftrag zu geben.
Ziemlich schnell hat es sich aber herumgesprochen, dass ich ein übersetzerfreundlicher Verlag bin. Es sind ja nur Übersetzungen, aus Nord- und Osteuropa. Ich schreibe die Übersetzer vorn aufs Cover drauf, das ist mir auch ganz wichtig. Und ich bekomme sehr viele Vorschläge von Übersetzern, die in ihrem Studium Klassiker gelesen haben aus den Sprachen und das immer so im Hinterkopf mitgetragen haben. Das sind natürlich keine Bücher, wo die großen Verlage sagen: Das wollen wir machen. Deswegen kommen die dann irgendwann zu mir. Das macht ungefähr ein Viertel bis ein Drittel der Bücher aus. Also Bücher, die noch nie ins Deutsche übersetzt wurden, wo es dann Erstübersetzungen sind.
Was sind das für Texte, bei denen du entscheidest Neuübersetzungen herauszubringen?
Da könnte man zu jedem einzelnen Buch eine eigene Geschichte erzählen. Der Großteil sind wirklich Lektüre-Funde. Ich hab schon immer gern antiquarisch gelesen und hatte auch immer schon, bevor ich überhaupt darüber nachdachte einen Verlag in dieser Prägung zu gründen, sehr viele Bücher im Kopf, wo ich dachte: das müsste doch heute auch noch gelesen werden, und da gibt es bestimmt Leute, die das auch zu schätzen wissen.
Man sagt, dass jede Generation eine neue Übersetzung braucht. Wenn eine Übersetzung dreißig Jahre oder mehr zurück liegt, lohnt es sich immer eine Neuübersetzung zu machen, wenn man sich eben entscheidet, dass Buch wieder verfügbar zu machen. Weil Übersetzungen immer auch Übersetzungen in einer gewissen Zeit sind, werden von Zeit zu Zeit neue Übersetzungen nötig. Was gar nicht heißt, dass die alte Übersetzung schlecht ist, sondern die alte Übersetzung ist eben in ihrer Zeit verhaftet.
Sind weitere MitarbeiterInnen an der Auswahl der Texte beteiligt?
Ich mache den Verlag ja ganz alleine. Ich bin ein klassischer Ein-Mann-Verlag. Leute erkennen im Programm bestimmte Linien und fragen mich dann, ob ich das programmatisch mache. Und da muss ich einfach sagen: Das letzte Kriterium ist einfach mein Geschmack. Das ist eine Art Lese-Biografe von mir selbst. Und ich vertraue einfach darauf, dass Bücher, die mich begeistern, auch das Potential haben Andere zu begeistern. Bisher klappt es ganz gut, und ich finde immer noch tolle Bücher. Es geht immer weiter. Aber das ist ja auch das Prinzip von unabhängigen Verlagen: dass man die Bücher macht, von denen man selbst überzeugt ist, dass sie gemacht werden müssen. Und da will ich mich auch nicht von abbringen lassen.
Was ist das Besondere an dem jüngst bei Guggolz erschienenen Roman „Apoll Besobrasow“ des russischen Autors Boris Poplawski, übersetzt von Olga Radetzkaja?
„Apoll Besobrasow“ ist eine Erst-Übersetzung. Der Roman wurde noch nie übersetzt. Da war es ganz schön: die Idee kam von der Übersetzerin (Olga Radetzkaja [Anm. d. Red.]) Sie hatte Slawistik studiert, kannte das Buch, auf Russisch, und hatte bei ihrer ersten Übersetzer-Werkstatt, also als völlig unerfahrene Übersetzerin, die ersten zwei Kapitel übersetzt. Das war so in den 90ern irgendwann. Sie empfahl es Verlagen, schickte es an Verlage. Und die sagten alle: Beeindruckendes Buch – aber völlig unverkäufich! Dann hat sie es wieder in die Schublade gelegt, hat dann angefangen zu übersetzen, hat auch große Autoren übersetzt. Und wir kamen ins Gespräch als ich den Verlag relativ neu gegründet hatte, am Rande einer Veranstaltung, wirklich ganz informell. Sie hatte vom Verlag schon gehört und ich erzählte ihr, was ich so vorhabe und mache. Und sie sagte: Ich hab was in der Schublade. Und sie schickte mir die ersten zwei Kapitel, und schon diese sind so sagenhaft gut, dass mir überhaupt nichts anderes übrig blieb. Ich rief sie sofort an – ich glaube eine halbe Stunde nachdem sie mir die E-Mail geschickt hatte – und sagte: Egal wie das weitergeht, ich will das unbedingt machen. Und ehrlich gesagt, versuchte sie von dem Zeitpunkt an mehrmals eher sogar mich abzubringen. „Ihnen ist schon klar: das ist keine lineare Erzählung.“ Und ich dachte: Oh, noch besser! Und als wir dann den Übersetzer-Vertrag unterschrieben hatten und sie schon an der Arbeit war, rief sie an, sie sei unsicher, das war jetzt wieder so ein Kapitel, das wieder besonders stark nur von der Atmosphäre lebte und wo wenig passiert, und sie hätte so ein bisschen Angst mir das zuzumuten. – Und ich: Noch besser, noch besser! – Also das war die Zusammenarbeit. Es ist bei Büchern, die erstübersetzt sind für mich natürlich besonders aufregend, weil ich das Buch auch das erste Mal lesen kann wenn die Übersetzung schon fertig ist. Und das Glückliche ist natürlich, wenn die erste Lektüre noch mehr begeistert als man es sich erhoft hatte. Und bei diesem Buch ist das wirklich genau so.
Das klingt nach einem spannenden Prozess. Ich hatte mich schon gefragt ob du viele Sprachen beherrschst.
Keine einzige! Also Englisch. Ich hab zwei schottische Autoren. Das wäre das Einzige was ich eigentlich verstehen würde, aber die sind im schottischen Dialekt geschrieben, so dass ich selbst die nicht verstehe, wenn ich sie lese. Also ich kann keine der Sprachen. Deswegen lasse ich mir die Bücher übersetzen.
Wie waren damals die Reaktionen der Kollegen anderer unabhängiger Verlage auf das Verlagskonzept von Guggolz?
Eigentlich nur positiv. Ich würde sagen, dass es unter den unabhängigen Verlagen, die ja hauptsächlich in der Kurt-Wolf-Stiftung organisiert sind, eine große Solidarität gibt. Das ist meine Erfahrung. Es gibt sehr wenig Konkurrenz. Wir haben ja auch alle eine eigene Prägung, so ein eigenes Feld, das man bearbeitet und eigentlich gibt es fast nur Solidarität. Wir wollen alle das Beste füreinander. Wir sind alle an dieser Vielfalt interessiert. Und deswegen gibt es große Unterstützung. Wann immer ich vor irgendeinem Problem stehe oder irgendeine Frage wälze, hole ich mir immer Rat bei anderen. Und da gibt es viele die ich einfach so fragen kann. Das ist wirklich toll. Also keinerlei Konkurrenz. Hab ich zumindest so erfahren.
Welcher andere Indie-Verlag steht Guggolz besonders nahe?
Da gibt es natürlich Verlage wo es leichte inhaltliche Überschneidungen gibt. Zum Beispiel der Weidle Verlag gräbt auch manchmal Vergessene aus, die auch oft aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts sind. Oder Dörlemann, die machen auch ganz tolle Russen, die auch genauso in mein Programm passen würden. Da gibt es Verlage mit inhaltlicher Überschneidung. Aber es gibt auch total viele Verleger, die mir persönlich sehr sympathisch sind, mit denen ich mich verbunden fühle obwohl das Programm gar nicht so genau mir entspricht. Oder der Berenberg Verlag ist auch ein Verlag, den ich sehr liebe und der ein ganz tolles Programm macht. Oder der Avant-Verlag, dem Comic-Verlag, mit dem mich ja auf den ersten Blick wenig verbindet, den mag ich auch sehr gern und wünsche ihm nur das Beste und will, dass wir gemeinsam groß werden.
Wie bist du Verleger geworden? Hat sich das angebahnt in der eigenen Biografe?
Ich hab vor 5 Jahren gegründet, 2014 . Es haben sich seitdem auch neuere, andere Verlage gegründet. Was ich beobachtet habe ist: erstaunlicherweise sind viele der Verleger Quereinsteiger. Manche die zuvor nicht einmal in einem Verlag gearbeitet haben. Das finde ich wirklich erstaunlich, denn dann ist es ein noch größeres Wagnis. Bei mir war es so, dass ich davor 6, knapp 7 Jahre bei Matthes & Seitz gearbeitet habe, als Lektor. Und der Verlag war, als ich angefangen hab, so klein, dass sich das sozusagen noch entwickelt hat und ich in alle Bereiche einen Einblick hatte. Das ist quasi so etwas wie eine Ausbildung gewesen. Das hat mir sehr geholfen, weil ich dann wusste was so die Arbeitsabläufe sind. Auch das ganze Spektrum an Arbeiten die man in einem Verlag zu tun hat. Ich wusste, was auf mich zukommt, was die Arbeit angeht. Das ist ja bei Quereinsteigern nicht so. Die müssen sich das alles erst erarbeiten. Aber ich glaube, das ist auch der Grund warum mein Verlag vom ersten Moment an auch relativ gut dastand. Ich hatte die ganze Vertriebsstruktur schon organisiert, weil ich wusste, dass ich Vertreter brauche, um Bücher zu verkaufen und all das. Und das ist bei manchen Verlagen so, dass sich das Schritt für Schritt entwickelt. Bei mir waren die Struktur und der ganze Aufbau schon relativ klar. Ich hab ja auch von Anfang an das Konzept inhaltlich gewusst. Hab das auch verkündet und bin auch noch nicht von abgerückt. Ich glaube da hatte ich einen Vorteil was den Start angeht. Aber ansonsten gibt es einfach so viele Dinge die man erst dann lernt, wenn sie einem passieren. Ich glaube da muss man einfach offen bleiben. Und einfach auch netzwerken, so dass man weiß, wo man sich Rat holen kann. Ich glaube jeder Verlag hat seine eigenen Geschichte, aber das ist ja auch das Schöne daran.
Herzlichen Dank für das Gespräch!