Bayerischer Charme und ein gewisser zotiger Witz haben Ileana im Roman Sauhund von Lion Christ sofort angesprochen. Den Buchtipp dazu, einen weiteren für den Deutschen Buchpreis nominierten Roman Drifter sowie einen für einen ganz besonderen historischen Roman findet ihr in diesem Beitrag:
Sauhund. Roman von Lion Christ
Es ist 1983. Flori hat seinen Zivildienst im Altenheim beendet, nun hängt er zwischen den Seilen in einem Kaff im Chiemgau, jobbt ein bisschen herum und trifft sich heimlich mit seinem ersten Freund, bis der Sauhund (bayerisch für Halunke, Schuft) sich still und leise davon macht und nach München abhaut.
Es ist das München der frühen 80er Jahre: das schwule Nachtleben ist glamourös, hedonistisch und provinziell zugleich, Freddie Mercury und Monaco Franze. Über all dem Glitzer schwebt AIDS wie ein Damoklesschwert.
Ich mochte den bayerischen Charme und den manchmal zotigen Witz in Lion Christs Debütroman. Flori ist ein Antiheld, er läuft immer nur davon und handelt sich Ärger ein. Sein durch und durch jugendliches Verhalten bringt ihn in große Gefahr in diesem ersten HIV-Jahrzehnt. Lion Christs Debütroman bei Hanser-Literatur lässt die Unsicherheit und Tragik deutlich werden, den unerträglichen Verlust dieser Jahre ohne Medikamente, ohne Hilfe, der noch heute nachhallt.
(Ein Buchtipp von Ileana)
Drifter. Roman von Ulrike Sterblich
Wenzel und Killer sind seit Ewigkeiten beste Freunde. Aufgewachsen in einem Berliner Plattenbau, hat es Killer zum PR-Chef bei einem Lebensmittelriesen gebracht. Wenzel dagegen moderiert Social-Media-Kommentare bei einem lokalen TV-Sender. Als Killer bei einem Rennbahnbesuch vom Blitz getroffen wird, ändert sich einiges. Killer kündigt seinen Job, zieht wieder zu seiner Mutter in die Platte und beginnt tiefgründig zu sprechen.
Spätestens, als Wenzel die vielen kleinen Blitz-Male auf Killers Haut entdeckt, ist klar: in diesem Roman wird es nicht mit rechten Dingen zugehen. Wenzel ist ob des schleichenden Verlusts seines „alten Killers“ maximal beunruhigt. Aber auch die mysteriöse Influencerin Vica Malabene, der er immer wieder wie zufällig begegnet, lässt ihn zunehmend an der Realität zweifeln. Doch ist die Realität gut genug, um auf die Fiktion zu verzichten? Und hat Wenzel überhaupt die Chance, der Fiktion zu entgehen?
(Ein Buchtipp von Mischa)
Drifter ist auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis 2023!
Der Schlafwagendiener. Roman von Suzette Mayr
Baxter ist Schlafwagendiener im Jahr 1929 in einem Zug quer durch Kanada. Baxter ist außerdem Schwarz und er ist schwul. Er spart all sein Geld, weil er Zahnmedizin studieren will und erträgt deshalb auch die miesen Arbeitsbedingungen der Eisenbahngesellschaft und die vielen Demütigungen durch die reichen weißen Fahrgäste. Der dauerhafte Schlafentzug und die karge Ernährung machen Baxter sehr viel mehr zu schaffen und so mischen sich zunehmend Halluzinationen in seine Wahrnehmung. Und dann ist da noch die Erinnerung an seinen früheren Ausbilder Edwin Drew…
Der Roman von Suzette Mayr nimmt uns mit auf die Reise von Toronto nach Vancouver und wir lernen die verschiedenen (oft skurrilen) Figuren kennen, die sich im Zug versammeln. Dank der hervorragenden Recherche der Autorin lernen wir außerdem viel über die Arbeitsbedingungen der Zugportiere und die kanadische (Klassen-)Gesellschaft vor knapp 100 Jahren.
Ulla empfiehlt „Der Schlafwagendiener“ allen Fans von historischen und Reise-Romanen, queerer Geschichte und James Baldwin.