Die Suche nach Gewissheiten sind das Thema der beiden Erstlingsromane und des Essaybandes, die Monique für die Sommerlektüre empfiehlt.
In seinem autobiografisch inspirierten Debütroman „Was zu dir gehört“ folgen wir Garth Greenwells namenlosen Ich-Erzähler in die schmerz- wie lustvollen Tiefen einer Liebesbeziehung zu dem charismatischen Bulgaren Mitko, dem der amerikanische Dozent in Sofia an einem einschlägigen wie unwahrscheinlichen Ort begegnet.
Atmosphärisch nah an seinen Figuren erschafft der Autor eine von Abhängigkeiten übervolle Beziehungskonstellation, die sich in Rückblenden in die amerikanische Jugend des Erzählers mit einer dritten Figur erwebt: dem abweisenden Vater.
In der Architektur Sofias, ihren öffentlichen Orten, Gerüchen, geheimen Treffpunkten und Einsamkeiten bewegen wir uns mit den „Geliebten“ zwischen Anziehung und Gewalt, zwischen dem Verlangen nach (körperlicher) Nähe und unüberbrückbaren Distanzen. Immer geht es dabei um das Werden der Protagonisten innerhalb ihres gesellschaflichen Handlungsspielraums, um Begehren, ihre (Ohn)macht, Scham und Sprache. Ein handwerklich sehr ausgereifes, höchst lesenswertes Debüt!
Garth Greenwell: Was zu dir gehört. Roman. Hanser Berlin 22.00 Euro
Auf der Flucht vor gewalttätigen Anhängern Ayatollah Chomeinis springt 1980 eine hochschwangere Studentin aus dem Fenster einer Teheraner Universität. Das mit hinabstürzende Kind ist die Autorin Maryam Madjidi, die mit dieser ungewöhnlichen Erzählperspektive ihren Debütroman „Du springst, ich falle“ beginnt.
In kurzen Bildern verwebt die Autorin schlaglichtartig Kindheitserinnerungen aus dem Iran mit Reflexionen der erwachsenen Frau über politische Verfolgung, die Lebensentscheidungen der Eltern und deren Spuren in der eigenen Biografe.
Dabei erschafft sie eine Vielzahl an Stimmen – von klarsichtigen Beschreibungen bis zu metaphernreichen Fiktionen – die versuchen, die komplexe Identitätsfindung der jungen Protagonistin zwischen ihren iranischen Wurzeln und dem Aufwachsen im Pariser Exil darstellbar zu machen. Vor allem als Einstieg in die Thematik ist der mit dem Prix Goncourt für das beste Debüt ausgezeichnete Roman lesenswert.
Maryam Madjidi: Du springst, ich falle. Roman. Blumenbar 18.00 Euro
Siri Hustvedt ist als Romanautorin und Essayistin weltberühmt und lehrt seit einigen Jahren Narrative Psychiatrie an der US-amerikanischen Cornell University. In ihrem Essay „Die Illusion der Gewissheit“ widmet sie sich in leicht verständlicher und sehr unterhaltsamer Sprache jenen wissenschaftlichen Disziplinen, die sich mit der Frage nach der Natur des menschlichen Geistes beschäfigen. Was ist Denken, was der Geist, und welche Rolle spielen Körper, Geschlecht und Biografe für unser Bewusstsein? Hustvedt gelingt ein höchst lesenswerter Überblick über das weite wie komplexe Feld der Bewusstseinsforschung und ihrer (körperintegrierenden) Denkschulen. Sie entwirrt dabei Konzepte, die – oft längst zu Schlagworten verkürzt – durch die öffentlichen Debatten geistern. Was dieses Buch von vielen anderen unterscheidet, die sich ähnlichen Fragen widmen, ist die Fähigkeit der Autorin, nicht nur Darwin, Freud, Pinker, von Neuman, Turing und viele andere Lichtgestalten der jüngeren Wissenschafsgeschichte sehr genau zu lesen, sondern diese auch ins Verhältnis zu bedeutenden Romanciers und anderen Künstlern zu setzen. Dabei zeigt sie sich stets offen für die verschiedenen Erklärungsansätze und deren zugrunde liegenden Menschenbilder, entkräftet aber auch genüsslich „unantastbare“ Theorien verschiedener Naturwissenschafen. Diese freundliche Skepsis für die Leser transparent zu machen, und diese dadurch in die Lage zu versetzen, den Diskurs mitzuverfolgen, ohne dabei die mitschwingenden ideologischen Tendenzen unhinterfragt akzeptieren zu müssen, ist das größte Verdienst des Buches. Es hebt sich angenehm ab von anderen populärwissenschaflichen Essays zu diesem höchst spannenden Thema. Unbedingte Leseempfehlung!
Siri Hustvedt: Die Illusion der Gewissheit. Essay. Rowohlt 24.00 Euro