Wie berichtet man vom Holocaust, dem Unaussprechlichen, das doch geschehen ist? Wenn der Erzähler dieses Buches, ein israelischer Forscher, Schulklassen durch Auschwitz und andere Vernichtungslager führt, beschreibt er den Vernichtungsprozess nüchtern, exakt und distanziert. Für den emotionalen Zugang werden die Schüler von Zeitzeugen und Lehrern begleitet, Rituale wie das Kaddisch und das Singen der israelischen Hymne sollen ihnen Kraft geben.
Über die Jahre wird es immer schwerer für den Tour-Guide, er wird Zeuge der Absurdität der Erinnerungen in all ihren Formen: israelische Schüler, die in Auschwitz flüstern, man sollte die Araber vergasen, Minister, die zum Gedenken an 75 Jahre Wannseekonferenz die militärische Eroberung eines Vernichtungslager planen, ein Computerspiel, welches Auschwitz imitiert. Das Erlebte zehrt immer mehr an ihm, bei einer Führung mit einem arroganten und antisemitischen deutschen Dokumentarfilmer kann er sich nicht mehr beherrschen und wird im Lager selbst gewalttätig, zum „Monster“. Dieses Buch ist unglaublich gut und wichtig, es entlarvt Erinnerungsmythen wie zum Beispiel den fehlgeleiteten Hass der Israelis auf Polen statt Deutsche und zeigt zum Schluss den immer noch existierenden deutschen Antisemitismus auf. Ohne mit moralischen Zeigefinger auf die richtige Art der Erinnerung zu weisen, wirft der Autor Fragen auf. Die nüchterne Exaktheit des Erzählers zwingt den Leser sich mit einer Vergangenheit auseinanderzusetzen, die schmerzt aber gerade deswegen nicht vergessen werden darf. Ein Buch also, das gleichzeitig erinnert und Erinnerung kritisch betrachtet.
(Ein Buchtipp von Emilia)
Yishai Sarid: Monster. Roman. Kein & Aber 21.00 Euro
Wer M ließt, um mehr über die Kunstszene zu erfahren, wird enttäuscht sein. Zwar spielt der Roman der beiden Autorinnen Anna Gien und Marlene Stark dort, doch ist dies für die Handlung nur nebensächlich. M ist ein Poproman, bei dem es mir schwer fiel, ihn zur Seite zu legen. Im Fokus stehen Alkohol, Sex, Drogen, Clubs und der Anspruch, etwas aus sich machen zu müssen. Trotz wirren Beziehungskonstrukten kratzt die Geschichte nur an der Oberfläche. Für mich sehr passend für diese Jahreszeit und Berlin.
(Ein Buchtipp von Ronja)
Anna Gien & Marlene Stark: M. Roman. Matthes & Seitz 20.00 Euro
Daniela Krien erzählt fünf Geschichten von Frauen in der Mitte des Lebens und aus der Mitte der Gesellschaft. Sie alle vereint, dass sie außerhalb der „Normalität“ stehen. Da ist Paula, die ihrem Mann nicht mehr in allen Ansichten folgen wollte und nach dem Verlust ihres Kindes und der Trennung von ihrem Partner in einer tiefen Depression versinkt. Da ist Judith, bei der sich einfach nie eine dauerhafte Partnerschaft ergeben hat. Oder Brida, die irgendwann der Mutterrolle nicht mehr ihre berufliche Entfaltung opfern wollte. Alle haben ihren Weg selbst gewählt, doch die „Wucht der familiären Bindung“ ist eine Kulisse, die sie dauerhaft begleitet, ob in eigenen Wünschen oder in Vorstellungen anderer. Die Konstruktion des Buches – die Frauen sind befreundet oder lose miteinander bekannt – erlaubt es, die einzelnen Geschichten immer auch aus einer anderen Perspektive zu sehen, aus einem anderen Lebensentwurf heraus. Großartig beobachtet. Gut zugehört!
(Ein Buchtipp von Beate)
Daniela Krien: Die Liebe im Ernstfall. Roman. Diogenes