Kress, ein junger Student der Literaturwissenschaft, der sein Studium mit einer gewaltigen Portion Verbissenheit verfolgt, ist der Protagonist in Aljoscha Brells Erstlingsroman, der im Januar dieses Jahres als Taschenbuch erschienen ist.
Wir Leser lernen Kress sehr intensiv kennen. Ein junger Mann, der geradezu pedantisch auf die Einhaltung von Regeln achtet und seinen Vornamen wegen eigener Grundsätze nicht preisgeben will. Der regelmäßig überschäumt vor Wut über die Dummheit und Ignoranz, die er seinen Mitmenschen attestiert, der mit seiner Art zu sprechen eigenartig anachronistisch erscheint und der Einsamkeit für die „Daseinsvoraussetzung des geistig tätigen Menschen“ hält. Schon der Klappentext lässt uns wissen: Kress hält die gesamte Welt für eine Unzumutbarkeit und dies wird an vielerlei Stellen im Roman nur allzu deutlich:
Voller Hass stapfte er allabendlich an den Menschentrauben vorüber, die an runden Holztischen den Gehweg überwucherten und ihre minderbemittelten kleinen Gespräche führten, lärmten und lachten, bis es die gesetzliche Situation erlaubte, die Polizei wegen Ruhestörung zu rufen. Wäre es nach Kress gegangen, er hätte sich eine göttliche Panzerfaust gegriffen und alles hier, den Sommer, die Sonne, die Stadt mitsamt ihren glücklichen Menschen, vom Antlitz der Erde getilgt.
Kress nimmt nicht am Berliner Studentenleben teil und pflegt auch sonst kaum soziale Kontakte. Wir begegnen ihm jedoch an einem entscheidenden Wendepunkt in seinem Leben, der einen Ausbruch aus seiner Engstirnigkeit zum Greifen nahe werden lässt und zugleich seine tief sitzende Verzweiflung zum Vorschein kehrt. Er trifft in einem Seminar auf „die Verspätung“, Madeleine, und verliebt sich in sie. Wer jetzt eine schnöde Liebesgeschichte befürchtet, in der ein einsamer Außenseiter aus Liebe plötzlich am spaßigen Studentenleben teilnimmt und dabei peinliche Pannen durchlebt, der sei beruhigt. Kress entwickelt vielmehr ein obsessives Interesse für Madeleine, das ihn dazu zwingt, seine Abneigung gegenüber Studentenpartys oder Small Talk zu ignorieren.
Aljoscha Brell hat eine erstaunlich lebendige Figur erschaffen, deren innere Monologe den Leser mitreißen. Wir begleiten Kress in für ihn ungewohnte Situationen, werden Zeuge zwischenmenschlicher Debakel und lernen den wohlüberlegt ausgearbeiteten Charakter Seite für Seite besser kennen. Schon lange habe ich nicht mehr so viel Mitgefühl für eine Romanfigur empfunden … – um gleichzeitig so angestrengt von ihr zu sein. Immer wieder möchten wir ihn dabei an den Schultern packen und rütteln, ihm ein Freund sein oder aber ihn augenblicklich und unkommentiert am Straßenrand stehen lassen.
Ein wirklich geglückter und ungewöhnlicher Roman über dessen Inhalt ich an dieser Stelle nicht zu viel verraten will und den ich ungeachtet der Tatsache, dass ich das Ende für ein wenig zu romantisiert empfinde, jedem ans Herz legen möchte, der auf der Suche nach einem leicht skurrilen, stellenweise traurigen und zugleich amüsanten Buch ist.
(gelesen von Theresa)
Aljoscha Brell: Kress. Roman. Ullstein Verlag 10.00 Euro reservieren
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