Fast genau 500 Seiten stark ist er, Amy Waldmans Roman „Der amerikanische Architekt“. Doch wer meint, mit diesem dickleibigen Buch wäre die Urlaubslektüre gesichert, könnte nach drei Tagen durchaus ohne Lesefutter da stehen, so zieht es Leser und Leserin in seinen Bann.
Im Amtssitz des New Yorker Bürgermeisters befindet eine Jury über die beiden in der Endauswahl verbliebenen Gestaltungsentwürfe für die Gedenkstätte zum 11. September. 5000 anonymisierte Einsendungen wurden gesichtet, bis diese beiden sehr gegensätzlichen Entwürfe übrig blieben. Lange wurde abgwogen, jetzt wird bis aufs Messer diskutiert, niemand glaubt der Gegenseite nachgeben zu dürfen. Doch als die Entscheidung gefallen ist und der Umschlag mit dem Namen des Gewinners geöffnet wird, sind selbst die Befürworter einem Schock nahe: der Gewinner trägt einen arabischen Namen …
Mohammad Khan, der Wettbewerbsgewinner, ist Sohn indischer Einwanderer, studierte in Virginia und Yale und arbeitet als anerkannter Architekt in einem namhaften Architektenbüro. Der amerikanische Architekt – so unbestimmt der deutsche Buchtitel auch wirken mag, so treffend gibt er das Thema des Romans wieder. Ist „amerikanisch“ nur ein Attribut oder ist es mehr? Wer ist Amerikaner und: können Einwanderer überhaupt jemals Amerikaner werden? Durch die New Yorker Öffentlichkeit und bald durch die ganzen Vereinigten Staaten geht ein Aufschrei. Wie kann ein „Araber“ ein Denkmal für die Opfer der Araber entwerfen?
New York und seine Bewohner befinden sich in einem Dilemma – und das beschreibt dieser Roman gekonnt. Bald richtet sich die Erzählperspektive nicht mehr auf Mohammed Khan, sondern auf immer neue Figuren, eingeschlossen von anderen, die im Handlungsverlauf immer wieder auftauchen: Claire, die Entwurfs-Befürworterin und Ehefrau eines 9/11-Opfers, Paul, Bürgermeister der Stadt, Sean vom Verband der Feuerwehrleute, Journalisten, Aktivisten … Der Roman ergibt das fesselnde Panorama einer Stadt, die miteinander diskutiert, kämpft – und keine Antworten findet.
Jahrgang 1969, ist Journalistin und leitete das Südasien-Büro der New York Times. Der amerikanische Architekt ist ihr erster Roman.
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