„Vielen Dank für das Leben“ …

Keiner erinnert sich mehr an den kalten Sommer 1966. In der kleinen, grauen Stadt im sozialistischen Teil des Landes frieren die Menschen. So beginnt der Klappentext von Sibylle Bergs neuem Buch. Man muss wissen, dass die 1960 in Weimar geborene Autorin Schwierigkeiten mit kleinen und großen grauen sozialistischen Städten hatte und in den 80er Jahren in die Bundesrepublik ausreiste. Vielen Dank für das Leben liest sich wie eine Selbstanzeige, findet Ulla:

Toto, Held dieser Geschichte, wird in den 60er Jahren in der DDR geboren. Toto, ungewollt, ungeliebt und zu allem auch noch Intersexuell, ist das Reine. Trotz der sofortigen grausamen Ablehnung durch seine Mitmenschen bleibt Toto friedlich. Als Kleinkind lebt er im Heim, bis zur Aufteilung in Jungen und Mädchen einigermaßen unbehelligt, aber dann wird die Niedertracht der anderen Kinder zügellos. Das Heimpersonal löst das Problem, in dem Toto an ein kinderloses Ehepaar verkauft wird. Toto schuftet für diese Ehepaar in einer LPG. Die Gegenwart der Tiere ist ihm angenehm, er beginnt für die Kühe zu singen. Singen ist eine große Freude. Toto ist klug und lebt. Zufälliger Weise landet er in der BRD in einer Kommune mit politisch/esoterischer Ausrichtung.
Noch mehr über Totos Lebenslauf möchte ich nicht verraten, aber zu dem Stil von Frau Berg und ihrem Blick auf diese Zeit schon. Es ist großartig. Keine Nostalgie, oder Hoffnung für den Westeuropäer, nein wir haben es versaut, wir sind nicht gut, keiner! Sie rechnet mit den Jahrzehnten ab und wagt einen Ausblick auf die nahe Zukunft. Und der scheint durchaus möglich. Dieses Buch ist wie eine Selbstanzeige und sehr sehr lesenswert!

Sibylle Berg
Vielen Dank für das Leben
Hanser 2012, 21.90 Euro
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