Eine junge Frau redet sich endlich alles von der Seele. Nach und nach merkt man, sie sitzt an einem Bett und in dem Bett liegt er, Ludwig. Sie redet und redet, ein Monolog über mehr als vierzig Seiten. Manchmal zucken seine Augenlieder: ach, kannst du mich hören? Immer mal fallen Bemerkungen wie: Soll ich die Pillen unter deinem Bett aufsammeln oder ich könnte jetzt den Notarzt holen. Es ist eine Abrechnung. Mit einem Typen, der nie Alkolhol trank, der früh vor der Arbeit eine Stunde und abend nocheinmal vier Stunden an seinem Buch arbeitete. Der Redaktionsleiter bei einem Hamburger Hochglanzmagazin war, der niemals tanzte, immer nur zusah, höchstens mal anerkennend mit dem Kopf nickte. Der genau wusste, was man anzog: schwarze Hemden unter braunen Pullovern, welche Turnschuhe. Und was gar nicht ging.
Der zweite Teil dieses Romanes erzählt die Ereignisse des Vortages und beantwortet nebenbei auch die Fragen, die sich nach dem ersten Teil auftun: Wie kam es überhaupt zu dieser Beziehung? Wieso wollte sich Ludwig, der Überflieger, das Leben nehmen?
Anna, die junge Frau, die an Ludwigs Betts saß, muss an diesem Tag in die Pflegeresidenz am Hamburger Stadtrand. Wieder einmal hatte die Leitung angerufen, dass es Probleme mit ihrer Mutter gab. Es wird ein Tag auf der Autobahn und im Pflegeheim. Beim Rollstuhl-Schieben über den Friedhof, beim Friseur mit der Mutter. Beim musikalischen Nachmittag. Und bei der Auseinandersetzung mit der Pflegeleitung. Ein Tag an dem in Rückblicken und Erinnerungen auch die Geschichte von Ludwig und Anna rekonstruiert wird.
In Arezu Weitholz‘ Roman „Wenn die Nacht am stillsten ist“ treffen zwei Welten aufeinander, die entfernter nicht sein könnten. Die des Redaktionsbüros, der Leute mit Style. Der Leute, die Bücher schreiben und dafür Journalisten-Preise gewinnen. Die in den richtigen Läden einkaufen. Und die Welt des Pflegeheimes, wo Bücher nur noch als Wurfgeschoß oder Türstopper dienen, wo das Essen von irgendwoher angeliefert wird, um ein paar Pfennig zu sparen.
Beinahe hätte sich Anna selbst aufgegeben. Sie durfte mit Ludwig nicht über ihren Vater reden, der sich umgebracht hatte, nicht über ihre depressive Mutter, nicht über das Heim. Mußte ihre Beziehung geheim halten. Nun steht sie vor der Frage: Soll sie sich selbst retten, oder Ludwig? Ein beeindruckendes und nachdenklich machendes Buch.
Arezu Weitholz
Wenn die Nacht am stillsten ist
Kunstmann 2012 17.95 Euro
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