Am vergangenen Montag hat Beate auf radioeins das Was uns bleibt von Katie Arnold-Ratliff vorgestellt. Doch auch eine geübte Schnellsprecherin kann in einem Dreieinhalb-Minuten-Gespräch den Inhalt eines Buches gerade einmal anreißen. Daher hier noch einmal alles ausführlich:
Der 22jährige Lehrer Francis unternimmt mit seiner Grundschulklasse einen Naturkundeausflug an den Strand. Dabei finden die Kinder die Leiche einer jungen Frau, die sich offensichtlich von der naheliegenden Golden Gate Bridge in den Tod gestürzt hat.
Dieses Ereignis wirft ihn aus der Umlaufbahn seines eher langweiligen, festgeschriebenen Lebens. Aber anstatt das zu tun, was von ihm erwartet wird: sich rücksichtsvoll um seine schwangere Ehefrau Greta zu kümmern, das Erlebte mit den Kindern gemeinsam, pädagogisch sinnvoll zu verarbeiten und vor allem, die ihm angebotene Hilfe von Seiten der Schulleitung, der Eltern und seiner Frau anzunehmen, verstrickt er sich in Wahnvorstellungen (er glaubt, dass die Tote seine beste Freundin Nora war), in Lügen (eine immer wiederkehrende, von ihm kultivierte Schwäche), Ablehnung und Verschwörungstheorien.
Während er seinen Schmerz (eingebildet?) mit diversen Medikamenten und Alkohol betäubt, fällt er in einen nicht endenden Monolog, den er wie eine Berichterstattung an Nora (die Tote?) gestaltet. Und so erfährt der Leser/die Leserin Stück für Stück von ihrer gemeinsamen Jugend, traumatischen Elternhauserlebnissen, gemeinsam bewältigten Krisen, verpassten „Liebeschancen“, Kompromissen im Leben und der Unerreichbarkeit der ganz großen Liebe.
Selten habe ich ein Buch gelesen, in dem die Hauptfigur so konsequent unsympathisch und wenig bedauernswert daher kommt. Francis ist sich dessen auch bewusst, und im Laufe der Geschichte wird er es auch zu keinen außergewöhnlichen Denk- und Entwicklungsleistungen bringen.
Ich glaube, die Figur ist einfach so angelegt. Einige böse Frauen werden bestimmt sagen: „Den kenne ich.“ Vielleicht, ja.
Öfters hatte ich während des Lesens Schwierigkeiten mit dem Wechsel zwischen der Realitäts- und der Monologebene, einschließlich der Dialoge, die ohne Anführungszeichen, kursiv in den Text eingefügt wurden. Gut gefallen haben mir dagegen Sätze, die zum 2x lesen einluden. („ … jetzt verstand ich, dass Erwachsene Schmerz verspürten, weil sie eine Bürde trugen, und diese Bürde war die Folge der Entscheidungen, die sie trafen.“) Außerdem habe ich es dann doch relativ flott gelesen, weil ich wissen wollte, wie das alles endet.
Ich würde das Buch jungen Frauen ab 20, Männern vielleicht ab 25 empfehlen, Lesern, die Amerika (Kalifornien) und Amerikaner mögen und die sich noch im Ringen um das „richtige Leben“ und die „richtige Liebe“ befinden.
Das Interview hier noch einmal anhören.
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Katie Arnold-Ratliff
Was uns bleibt. Roman
Mare 2012 19.90 Euro