Schluss mit lustig! – diesen Entschluss fasst Gabriel Brockwell, als er eines morgens in einer Entzugsklinik aufwacht. In ganz auf Survival of the Fittest ausgerichteten Zeiten nicht der Allerfitteste, so sein Fazit. Wen wundert’s, dass er sich umzubringen entschließt. Ein Zeugnis der Verzweiflung? Nein, Gabriel geht erhobenen Hauptes von dieser Welt, denn sie verdient es nicht, auf ihr anwesend zu sein:
Bye-bye, ihr freien Märkte, auf Wiedersehen, ihr Allgemeinen Geschäftsbedingungen, ciao, du unechtes Gelächter, ha, ha, juchhe, juppidu. Die letzten Feiernden sind das Kroppzeug, das immer angerannt kommt, wenn es etwas umsonst gibt, und das jetzt Wein kotzt. Den Spielstand zu erkennen und genau im richtigen Moment auszusteigen, löst in mir kein Gefühl des Bedauerns, sondern Stolz aus.
Doch ehe es so weit ist, will Gabriel noch einmal richtig abfeiern, mit seinem alten Kumpel Smuts, der in einem Tokioter Nobel-Restaurant zusammen mit den Gästen ein kulinarisches Spiel aus – oh Schicksal! – hochgiftigen Fischen spielt. Die Flucht aus der Klinik gelingt und auch der Ortswechsel nach Tokio wird trotz leerer Kasse gemanagt, doch Gabriels Abschiedsparty aus Wein, Koks und Kugelfischen endet in einem Desaster: einer der Gäste halbtot, sein Freund Smuts in Untersuchungshaft. Natürlich kann er nun nicht einfach abtreten. Eine Mission hat er noch zu erledigen: Smuts vor dem Gefängnis retten. Und dazu muss er nach Berlin.
Gabriel Brockwell ist bis dahin eine recht farblose Figur. Man erfährt nicht viel über ihn. Wollte einmal Koch werden, ein abgebrochenes Studium, ein hingeschmissener Job in einer Fast-Food-Bude. Aufgehörtes Mitglied in einer antikapitalistischen Aktionsgruppe. Muss sich öfters von Freunden anhören: Ach, ist das wieder so ein whoosh – Ding? Kokettiert mit schriftstellerischen Ambitionen, doch auf dem Block in der Manteltasche steht nur ein einziger Satz.
Durch diesen Brockwell muss der Leser erst einmal durch. Durch Anklagen, Träumereien, Offenbarungen, durch Limbus und Nimbus und Fußnoten. Doch es lohnt sich, denn Berlin holt Gabriel zurück. In Berlin verbrachte er einen Teil seiner Kindheit, sein Vater hatte in den frühen 90er Jahren im Ostteil einen Club aufgemacht.
Das Buch gewinnt plötzlich an Fahrt, denn die Hilfe-Anrufe aus Tokio werden immer drängender. Gabriel muss handeln, doch wie bei einer Dominobahn stößt ein Ereignis das nächste an. Seine Mission führt ihn in den Prenzlauer Berg und zum schließenden Flughafen Tempelhof, ins Adlon, in Edelclubs und Kokshöhlen. Gabriel bekommt mit Leuten zu tun, von denen er sich eigentlich verabschieden wollte. Doch Rettung naht. Und zwar von gänzlich unerwarteter Seite.
In Das Buch Gabriel hat DBC Pierre viel von sich selbst verarbeitet. Mit Ende 20 war der 1961 geborene nach einem Auf-und-Ab in bildender Kunst, Film und Design drogenabhängig und hochverschuldet. Es folgten Entzug und mehrere Jahre psychiatrischer Behandlung, ehe ihm 2003 mit „Jesus von Texas“ ein Neuanfang und auf Anhieb der Durchbruch als Schriftsteller gelang.
In diesem Jahr war er Gast auf dem Internationalen Literaturfestival Berlin.
DBC Pierre: Das Buch Gabriel. Roman . Eichborn Verlag 2011. 19,95 Euro