Michel Bergmann: Die Teilacher

[singlepic id=396 w=204 h=180 float=left] Hat Michel Bergmann alle hinters Licht geführt? Die Teilacher heißt sein Roman, und sicherheitshalber ist auf dem Klappentext auch gleich eine Worterklärung* abgedruckt. Ein Buch mit einer Erklärung des Titels? Ein Wort das Wikipedia nicht kennt – genauso wenig wie die allwissende Tante Google?

Das sieht fast wie ein Schelmenstreich aus und würde damit bestens zu seinem Roman passen, denn zeitweise liest er sich wie ein Schelmenroman – wenn den Schelmen nicht übel mitgespielt worden wäre.

Teilacher waren in der Vorkriegszeit jüdische Handlungsreisende, die vorwiegend in ländlichen Gegenden Wäschepakete an die Frau brachten: Weißwäsche, Laken, Bezüge, Tischdecken, manchmal ganze Aussteuern. Ein Gewerbe, das in der Vorkriegszeit florierte und in der Zeit des Nationalsozialismus ein jähes Ende fand.
„Aufgerollt“ wird die Teilacher-Geschichte von Alfred Kleefeld, der den Nachlass seines Ziehvaters David Bermanns ordnen muss, nach der Beerdigung mit den alt gewordenen Freunden Bermanns zusammen sitzt und ihren Gesprächen zuhört: Fajnbrot, Verständig, Fränkel, Holzmann. Sie alle hatten vor dem Krieg die Teilacherei ausgeübt, waren dann in alle Winde zerstreut worden, fanden sich im Frankfurt der Nachkriegszeit nach und nach wieder und begannen das Geschäft wieder aufzubauen. Mit Witz und List gelingt es ihnen so manches Paket abzusetzen – mit einer ihnen früher fremden Schadenfreude, die der heutige Leser gern teilt.

Die Teilacher beschreibt ein Stück jüdischer Nachkriegsgeschichte, von dem man wenig weiß. Während viele der Überlebenden irgendwann auswanderten, verblieb ein kleiner Teil in Deutschland, oft unter Lebensumständen und Motiven, auf die sie im Alter nur im Zwiespalt oder mit Bitternis zurückblicken konnten:

Und was ja viel schlimmer ist, wir haben es auch unseren Kindern gesagt. Wir haben ihnen erzählt, wir sind bald weg, in Israel, oder in Amerika, oder in Honolulu oder sonst wo. Wir haben ihnen keine Chance gegeben, hier Wurzeln zu schlagen. Sie sind mit dem gepackten Koffern groß geworden. Es war unsere Schuld. … es war ein Spagat. Auf der einen Seite die jüdische Welt, auf der anderen die deutsche. Man hatte ja schon das Ticket ins Glück. Nur die Abreise hat sich verzögert.

Ein Kind zeugen, ein Haus bauen … was ist das schon dagegen, ein Wort zu erfinden und damit ganze Legionen von Lesern zu narren? Schön wär’s, aber fast genauso schön ist es wohl, ein längst vergessenes Wort wieder hervorzuzaubern.

* „Teilacher“ ist verwandt mit jiddisch-berlinerisch „teilachen“, umgangssprachlich für „abhauen“. Teilacher setzt sich zusammen aus dem Begriff „Teil“ und dem hebräischen Wort „laachod“, Einzelhandel. Die Teilacher, als Vertreter des Einzelhandels, ist das kleinste spaltbare Teilchen, das Atom der Kaufmannswelt. Was den Teilacher vom herkömmlichen Handlungsreisenden unterscheidet: Der Teilacher ist Jude. Oder er gibt sich als solcher aus. Denn es gab eine Zeit, da konnte das, unglaublich, aber wahr, Vorteile haben. Aber auch Nachteile.

bergmann_michel_die_teilacher_hc Michel Bergmann

Die Teilacher. Roman

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