Tanja Dückers: Hausers Zimmer

West-Berlin 1982. Die 14-jährige Julika wohnt mit ihren Eltern und ihrem Bruder Falk in einer riesigen Altbau-Wohnung. Ein Labyrinth, das neben seinen Bewohnern auch noch jede Menge – zum Teil raumgreifende – moderne Kunstwerke beherbergt. Julikas Mutter ist Übersetzerin schwedischer Jugendbücher, ihr Vater ein fein gekleideter Kunstkritiker.

Nachts, wenn Julika wieder einmal nicht schlafen kann, hört sie auf dessen Schreibmaschinengeklapper, brütet über dem Weltatlas, lernt Flüsse und Berge auswendig. Für ihre Eltern ist Berlin des beste Ort der Welt, niemals würden sie wieder zurück nach Rest-Deutschland wollen. Aber Julika wünscht sich oft weit weg. Patagonien, dorthin würde sie gern reisen, am besten mit dem Hauser zusammen.

Der Hauser wohnt quer über den Hof. Nachts observiert Julika sein Zimmer, führt ein spezielles Buch, in das sie ihre Erkenntnisse notiert. Der Hauser ist ein langhaariger Motorradrocker und das genaue Gegenteil ihrer Familie. Oft betrunken, unordentlich, mit wechselnden Frauen. Ein Prolet eben, wie das ganze Haus sagt.

Julika ist ein eher unauffälliges Mädchen, das ihre Umgebung aber um so genauer beobachtet. Welch ein Glück, kann sich Leserin und Leser so doch auf eine Zeitreise zurück ins Jahr 1982 begeben. Der Falklandkrieg, der Tod Breshnews, der Sturz der Schmidt-Regierung, der Tod Carl Orffs und der Zusammenbruch des Telefunken-Konzerns  bis hin zu den Ereignissen um das Nilpferd Knautsche, das im Berliner Zoo den Krieg überlebt hatte, amnesty-Briefe schreiben, Kudamm-Ladys, die ersten Igel-Partei-Aufkleber, das Lochow-Freibad …

Tanja Dückers Buch ist voller Humor und Witz. Es spürt aber auch dem tiefgreifenden Wandel der 70er zu den 80er Jahren nach. Und dem Ende der 68er – oder sind es schon die Anfänge der „neuen Bürgerlichkeit“, die man heute diagnostiziert? Noch während es sich sämtliche Hausbewohner neben der Hanfplantage auf dem Dach des Mietshauses gemütlich gemacht haben, während sich ihr Vater Klaus über die Arroganz des Bürgertums ereifert, darf Julika denken:

Was das Bürgertum wohl sein soll, wenn es Menschen wie Klaus ausschloss? Mir kam es vor allem wie ein zutiefst altmodischer Begriff vor. Es gab, wie mir schien, doch kaum verlässliche Unterscheidungskriterien zwischen Arbeiterschaft, Bürgertum, Unternehmen und so weiter. Vor mir verschwamm das Eis, bald war es nur noch ein gelbroter Brei, eine organgefarbene Soße. Alles eine Soße. Proleten, Olks, also Kunstproleten, Bürger, Bürgerproleten wie die Pechs, Spezialbürger wie Klaus. Ich löffelte mein Eis auf.

Knapp 500 Seiten ist das Jahr 1982 bei Tanja Dückers lang. Es hätten gern mehr sein dürfen.
Ein „Muss“ für Berliner, ein „Sollte“ für alle anderen.

Tanja Dückers
Hausers Zimmer. Roman
Schöffling & Co. 24.95 Euro

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