Carsten Jensen: Wir Ertrunkenen

[singlepic id=192 w=240 h=180 float=left] Fast 800 Seiten hat Carsten Jensen seiner dänischen Heimatstadt Marstal gewidmet. Marstal ist ein kleiner Ort auf der kleinen Ostseeinsel Ærø, heute mit etwa 2300 Einwohnern. Doch so klein diese Stadt auch ist, das  sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie eine glänzende Geschichte hinter sich hat. Um 1900 war nur die Handelsflotte von Kopenhagen größer als die von Marstal. Und einige Jahrzehnte später konnte man auf allen Flotten der Welt Seeleute aus Marstal antreffen, in Spitzenpostition freilich: Kapitäne, Steuermänner … „Ihr verdammten Marstaler, überall seid ihr!“ hieß es dann manchmal.

Es sind vor allem drei Figuren, die den Leser durch diese knapp einhundertjährige Blütezeit der Stadt begleiten: Laurids Madsen, der 1848 in einem Seegefecht mit den Deutschen „zum Himmel auffuhr“ und mit beiden Beinen wieder auf dem Schiffsdeck landete, sein Sohn Albert Madsen, der in die Südsee aufbricht um dort nach seinem verschwundenen Vater zu suchen und als alter Mann von Visionen untergehender Schiffe heimgesucht wird sowie von Knud Erik, Albert Madsens Ziehsohn, der gegen den Willen seiner Mutter mit der Seefahrerei beginnt.

Jenses Roman hat jedoch auch noch eine andere Seite. Es  sind die Frauen, die das eigentliche Gesicht der Stadt bilden, die die Familien zusammen halten, die Kinder groß ziehen und oft jahrelang auf ihre abwesenden Männer warten müssen, manchmal sogar vergeblich. So wie die verwitwete Klara Fries, die ihren Sohn Knud Erik nicht an die See hergeben möchte und den Gang der Geschichte für ihre Zwecke zu nutzen versucht.
Den historischen Wandel von der Segel-, über die Dampf-, zur Motorschifffahrt verknüpft Jensen geschickt mit dem Schicksal seiner Figuren. Und er liefert eine interessante Hypothese, warum die Stadt Marstal diesen Wandel verpasst haben könnte …

Jensen hat für „Wir Ertrunkenen“ mehrere Jahre recherchiert und konnte, wie er im Nachwort schreibt, mit den Erinnerungen und Aufzeichnungen der Bewohner von Marstal „einen Goldschatz von fantastischen Geschichten, Lebensläufen und dramatischen Ereignissen“ heben. Diese Fülle erlaubt es ihm, einen fast durchweg spannenden Roman zu schreiben, der Leser durch seinen flüssigen Erzählstil immer weiter mit sich fortreißt.
Natürlich sollte man für diese Buch etwas Zeit einplanen, vielleicht Strand-Zeit, am besten Ostseestrand-Zeit.

Carsten Jensens Roman „Wir Ertrunkenen“ ist 2008 erstmals auf deutsch und vor kurzem als Taschenbuch erschienen.

jensen_wir_ertrunkenenCarsten Jensen
Wir Ertrunkenen
btb 12.95 Euro

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